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Tiziana De Silvestro |
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Wahrnehmung und Vor-Einstellungen Wie weit kann ich gehen? Bis wohin kann ich kommen? Wer bestimmt, wer wohin kommt? Das sind die Fragen, die Tiziana De Silvestro an- und umtreiben. In ihren Arbeiten erkennt und benennt sie Grenzen und lotet sie aus, auch das, was dahinter steht, im mehrfachen Sinne: geografisch, mental, ästhetisch, politisch.
Am deutlichsten wird dies in ihrer Serie „Einschränkungen“ von 2004, in der sie
Grenzen direkt ins Bild setzt: die Grenzen in den Städten und in unseren Köpfen. In Hong
Kong hatte sie Schranken fotografiert, die uns täglich begegnen, wie Ampeln oder Baustellen,
aber auch Schranken, die eigentlich gar keine sind, aber von unserem historischen und kulturellen
Gedächtnis dazu gemacht werden. So wird uns eine Weihnachtsbeleuchtung vor offenem Himmel zu
Stacheldraht, zur Grenze eines Gefängnis, eines Konzentrationslagers gar. Ausgelöschte Glühbirnchen
im Wind werden in unserem Kopf zu Bedrohung und Schutzwall in einem – das Bild hat heute, da
in Europa wie in den USA neue Grenzzäune gebaut werden, an Dringlichkeit noch gewonnen.
Was sich hier der Fotografin aus der Arbeit heraus offenbart hat, ein Auflösen der Dichotomie tot – lebendig, alte – neue Kunst, sucht sie durch Wechsel der Perspektive. Den Blick umdrehen, auf das, was dahinter oder darunter liegt, auf das, was zurück bleibt, wenn die Party verklungen, die Schönheit verwelkt ist – Tiziana De Silvestro hinterfragt Wahrnehmung und Vor-Einstellungen, indem sie die Verhältnisse (scheinbar) umdreht: in Thema, Bildkomposition und fotografischem Verfahren, aber auch vom Konzept her. So stand am Anfang der männlichen Akte der Wunsch nach Umkehrung der Geschlechterordnung in der Tradition der Aktfotografie. In ihrer Serie „Die Unsichtbaren“ von 1998-2000, stellt sie das Gesicht einer verschleierten Frau den Gesichtern von Männern mit Sonnenbrillen gegenüber und fragt: Was ist anonymer? Zieht sie die Gesichter der Männer ins Unscharfe, erstarren sie zur Maske und die Sonnenbrillen-Gläser werden zu Höhlen in einem Schädel; dagegen sprechen die Augen der Frau Bände. In „Momente des Seins“ von 1992 hat sie den Entwicklungsprozess des Polaroids unterbrochen und auf Aquarellpapier übertragen – das Ergebnis: eine Reihe von Selfies avant la lettre mit ungewissem Ausgang. An den Autorennen, das ihre Nichte in den IndyCar Series fährt, interessieren sie die Spuren, die vom grossen Thrill übrig bleiben: Bremsspuren auf der Rennbahn, das verpackte Gefährt, die Mechaniker in Schwarz.
Schliesslich ist da ihre Faszination am Reisen und am Fliegen, beispielhaft erlebt und dokumentiert
auf ihren Kreuzfahrten mit Schwulen „Freedom and Liberty“ von 2007-2010. Tiziana De
Silvestro hat in den 1980er-Jahren bei der Swissair als Flight Attendant gearbeitet. Damals hat sie
Leben und Arbeiten, auf der Rückseite des Glamours, im Flugzeug dokumentiert. In jüngerer
Zeit interessiert sie sich mehr für die Symbolik der Flugreise – bzw. für das, was
davon übrigbleibt. Ihre „Air Show“ findet 2015 mit Spielzeugen statt oder mit einer
Täuschung: Ein aus Draht gefertigtes Flugzeug wird fotografiert zu einer
Bleistiftzeichnung. Text: Lilo Weber |
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Bildhinweis |
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Copyright © Tiziana De Silvestro |